Beerenobst Rhön-Vogelsberg



topagrar - Das Magazin für moderne Landwirtschaft - 12.2002
Mit Schwarzen Johannisbeeren und Holunder haben sich acht Landwirtsfamilien innerhalb von zehn Jahren einen lukrativen Markt erschlossen. Wie lautet ihr Erfolgsrezept?
„Es ist ein sehr beruhigendes Gefühl, nicht von der Politik abhängig zu sein“, bringt Manfred Münker (50), Landwirt und Berater aus Hosenfeld-Schletzenhausen bei Fulda, die Stimmung von acht Landwirtsfamilien auf den Punkt. Sie haben vor über zehn Jahren die „Beerenobstgemeinschaft Rhön-Vogelsberg“ (BOG) gegründet. „Wir fühlen uns völlig unabhängig, was den Markt und die Preise anbelangt.“

Die Beerenobst-BauernUm auf ihrem kargen Mittelgebirgsstandort Einkommensverluste durch sinkende Getreidepreise auszugleichen, waren vier Haupterwerbs- und vier Nebenerwerbsbetriebe 1989 mit zunächst 15 ha in den Anbau von Schwarzen Johannisbeeren eingestiegen. Heute bauen sie 35 ha Schwarze Johannisbeeren und 15 ha Holunder an. Die Anbaufläche pro Betrieb liegt bei ein bis zehn Hektar. Das Besondere: Die Landwirte beschränken sich nicht nur auf die Erzeugung von Beeren und Blüten. Sie verarbeiten und vermarkten ihre Produkte auch in eigener Regie.
Das Ergebnis können sie heute mit Stolz präsentieren: Die Deckungsbeiträge ihres Beerenobstes lassen selbst Zuckerrüben-Anbauer neidisch werden. Mittlerweile bieten sie 27 verschiedene Produkte an - vom Johannisbeer-Muttersaft über Holundernektar, FliederShake bis hin zu Johannisbeerwein und Holunderblüten-Sekt. Über 140 Geschäfte in Hessen und über die Landesgrenzen hinaus werden von der Beerenobstgemeinschaft beliefert. Mit ihren Produkten sprechen sie gesundheitsbewusste und genussorientierte Verbraucher an, die Wert auf die regionale Herkunft der Produkte legen.

Eigeninitiative als Schlüssel zum Erfolg
Bevor sich die acht Hessen mit ihren Säften, Weinen und Likören eine Marktnische erschlossen, mussten sie einige Hürden nehmen. Als sie 1989 die ersten Johannisbeersträucher pflanzten, hatten sie alles andere im Sinn, als einen eigenen „Saftladen“ aufzumachen. Vielmehr wollten sie Rohware für den Frischmarkt erzeugen. „Damals lag der Preis für Schwarze Johannisbeeren bei 2,20 DM/kg", erinnert sich Münker. „Vorsichtshalber kalkulierten wir in unserer Rentabilitätsberechnung mit 1,50 DM/kg und setzten statt 120 nur 80 dt/ha Ertrag an.“
1993 kam das böse Erwachen. Die Preise purzelten auf 0,80 DM/kg. Der Markt, auf den viel Ware aus Osteuropa drängt, unterliegt starken Preisschwankungen. „Wir hatten 50 t Schwarze Johannisbeeren da liegen und wussten nicht wohin damit“, so Münker.

Was bringen schwarze Johannisbeeren? (1)
Ertrag 40 dt/ha
Erlös 0,75 Euro/kg
Erlös pro ha 3000 Euro/ha
Variable Kosten (2) 800 - 1000 Euro/ha
Deckungsbeitrag 2000 - 2200 Euro/ha
 (1) Durchschnitt Beerenobstgemeinschaft Rhön-Vogelsberg
 (2) 30 Akh/ha
Die Lösung des Problems lag quasi vor der Haustür. Nur 17 km von Hosenfeld entfernt liegt die Kelterei Elm in Flieden. Dort ließ die BOG ihre Beeren zunächst zu fünf Produkten im Lohn verarbeiten. In Harald Elm, Getränketechnologe und Inhaber der Kelterei, fanden die Landwirte einen geeigneten Partner. Gemeinsam mit ihm entwickelten sie im Laufe der Jahre immer wieder neue Produkte. „Das geht nur in Verbindung mit einem engagierten Fachmann“, meint Marianne Münker (47), Geschäftsführerin der Beerenobstgemeinschaft.
Elm verarbeitet die Rohware der Landwirte, für den Absatz ihrer Säfte, Weine und Liköre sind sie aber selbst verantwortlich. Zu Anfang mussten die Milchvieh-, Mutterkuh- und Schweinehalter sowie Ackerbauern all ihren Mut zusammenfassen, um Lebensmittelläden, Apotheken und Getränkemärkte abzuklappern und für den Absatz ihrer Produkte zu gewinnen. „Jeder, der einen Laden für den Absatz erschlossen hatte, bekam dafür einen Gebietsschutz“, erklärt Marianne Münker. Unter den Bauern entwickelte sich beim Erschließen der Absatzwege eine sportliche Konkurrenz.
Die Zentralen großer Lebensmittelketten, die allerdings nicht zu den wichtigsten Abnehmern gehören, sprach die Geschäftsführerin selbst an und pflegt bis heute diese Kontakte. Darunter ist z. B. das in Fulda ansässige Handelsunternehmen Tegut, dass sich auf die Vermarktung regional oder ökologisch erzeugter Produkte spezialisiert hat.
Die Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die die Beerenobstgemeinschaft gewählt hat, birgt für die Landwirte trotz der unbeschränkten Haftung kaum Risiken, da jeder die Produkte auf eigene Kappe vermarktet. Er verkauft seine Rohware an die BOG und kauft je nach Bedarf die fertigen Produkte zurück.
Der Verkauf läuft nur über Wiederverkäufer. „Der Absatz an den Großhandel ist wegen der niedrigen Margen nicht lukrativ“, stellt Manfred Münker fest. Die BOG gibt ihren Wiederverkäufern einen Mindestpreis vor.
Auch in der Lagerung der verarbeiteten Produkte ist die BOG unabhängig. In der Nähe der Kelterei hat sie ein eigenes Lager angemietet, in dem die Flaschen palettenweise lagern. Von dort holen sich die Mitglieder direkt ihre bestellte Ware ab und liefern sie an ihre Kunden aus. Alle Mitglieder betreiben außerdem einen Ab-Hof-Verkauf, zwei verfügen sogar über professionelle Hofläden.

Umsatz steigern durch Aktionen

Ihre Umsatzerfolge haben die rührigen Beerenobst-Bauern durch viele Verkaufs- und Verkostungsaktionen, die sie regelmäßig in der Region durchführen, selbst herbeigeführt. Sie beteiligen sich mit Ständen an Wochenmärkten, Gartenfesten, Veranstaltungen von Naturschutzverbänden und führen regelmäßig Hoffeste durch. So strömten im Juni 2002 an zwei Tagen fast 3 000 Besucher zum Holunderblütenfest auf dem Hof Münker. Alle fünf Jahre richtet der Betrieb das Hoffest aus. Für die Organisation sind jeweils zwei bis drei Mitglieder verantwortlich. Dabei werden sie von rund 50 Helfern unterstützt.
„Wir arbeiten ständig daran, noch besser zu werden“, erklärt Manfred Münker. „Dazu gehört, dass wir laufend neue Produkte entwickeln.“ Um diese bekannt zu machen, lässt sich die BOG einiges einfallen. So führte sie Ende Oktober 2002 in 20 Tegut-Läden Verkostungen unter dem Motto „Gesund durch den Winter“ durch. Dabei platzierte sie gleich drei neue Produkte. Den Standdienst übernehmen die Landwirte und ihre Frauen meist selbst. Mitunter engagieren sie auch Aushilfskräfte, die vorher gründlich eingewiesen werden.
Eine „Riesenstammkundschaft“, so Münker, hat sich die Gemeinschaft auf dem Weihnachtsmarkt in Fulda erschlossen, auf dem sie seit sechs Jahren einen Getränkestand mit dem eigenen Glühwein „Johannisfeuer“ betreibt. In zwei Schichten schänken die Bauern vier Wochen lang täglich von 10 bis 20 Uhr ihr heißes Markengetränk an durchgefrorene Weihnachtsmarktbesucher aus. Durch Vorträge, Führungen und Verkostungen auch auf ihren eigenen Betrieben runden die Beerenobst-Bauern ihre Marketingaktivitäten ab. „Kurgäste, die während ihrer Kur im nahen Bad Salzschlirf unseren Vitamin C-reichen Johannisbeer-Muttersaft kennengelernt haben, lassen sich ihn sogar bis nach Berlin nachschicken“, freut sich Marianne Münker.
Die Arbeitsbelastung ist zwar beträchtlich, „wenn wir weniger machen, geht aber der Umsatz zurück“, erklärt Münker.
Seit November 2001 wirbt die BOG auch mit einem professionellen Auftritt im Internet (www.beerenobst-rv.de), der sich derzeit aber ausschließlich auf Produkt-Informationen beschränkt. Bis Mai 2002 konnte die Beerenobstgemeinschaft bereits über 2 000 Internet-Besucher verzeichnen.
Passend zum Weihnachtsgeschäft bietet die Beerenobstgemeinschaft in diesem Herbst erstmalig einen umfangreichen Katalog mit originellen Geschenkideen für Firmen und Privatleute an. Gesundes und Hochprozentiges wird in rustikalen Zinkwannen, Körben und Kartons angeboten.

Regelmäßige Strategiebesprechungen

Das Umsetzen der vielen neuen Ideen bei der Produktentwicklung und den verkaufsfördernden Aktivitäten setzt voraus, dass sich die Mitglieder regelmäßig treffen. „Jedes Mitglied muss die Entscheidungen mittragen“, meint Manfred Münker. „Wenn wir dies nicht von Anfang an so gehandhabt hätten, gäbe es uns heute nicht mehr.“ Die Landwirte treffen sich mindestens sechs- bis achtmal pro Jahr. „Immer wenn eine Entscheidung ansteht, wird ein Treffen anberaumt“, erklärt die Geschäftsführerin. In der Regel sind die Frauen der Landwirte mit dabei. „Das wirkt sich positiv aus, weil Frauen oft andere Ideen miteinbringen, als die Männer", meint Marianne Münker.
Die Treffen finden reihum auf den Höfen der Mitglieder statt. Von jedem Treffen wird ein Protokoll angefertigt, in dem die gefassten Beschlüsse, neue Ziele, Kritik und die Aufgabenverteilung für anstehende Aktionen festgehalten werden. „Das Protokoll dient uns zur Kontrolle“, so die Geschäftsführerin. „Hat es beispielsweise nach dem Weihnachsmarkt im letzten Jahr Manöverkritik gegeben, holen wir uns das Protokoll bei der Vorbereitung für den nächsten Markt wieder hervor, um daraus Konsequenzen zu ziehen.“ Die Gespräche drehen sich mittlerweile fast ausschließlich um das Erschließen neuer Absatzmärkte. Nur in den ersten vier bis fünf Jahren wurden anbautechnische Probleme besprochen.
Die Geschäftsführung der BOG erledigt Marianne Münker, gelernte Industriekauffrau, seit 1993 auf Stundenbasis. Sie schreibt die Abrechnungen, koordiniert die Ernte, stellt Kontakte zu Kunden her, kümmert sich um die Werbung (Internetauftritt, Prospekte, Kataloge usw.) und entwickelt neue Produktideen. Ihr jüngstes „Kind“ sind die Produkte aus Holunderblütenextrakt, aus denen Limonade, Likör, Sekt, Sirup, Shakes und Cocktails hergestellt werden. Zwei Jahre hat sie gemeinsam mit dem Geschäftspartner Harald Elm experimentiert, bis die Produktpalette stand. Die Ideen dazu waren beim Urlaub in der Steiermark gekommen, als sie dort verschiedene Hollerblüten-Getränke kennenlernte. Die Rezepte verrieten ihr die Steiermärker leider nicht, so dass sie diese zusammen mit der Kelterei selbst entwickeln musste.
Die Ernte der Holunderblüte stellt logistisch besonders hohe Anforderungen, da sie zwischen Betrieb und Kelterei aus Qualitätsgründen minutiös abgestimmt werden muss. Die Blüten gehen im Kühltank direkt von der Plantage in die Kelterei. „Das Verfahren haben wir uns selbst ausgeknobelt und ist daher unser Betriebsgeheimnis“, so Münker. Die neue Produktlinie hat dazu geführt, dass die Betriebe, die Holunder anbauen, mittlerweile hauptsächlich die Blüten ernten und nur noch einen Teil zu Beeren ausreifen lassen.

Holunder ist besonders arbeitsintensiv

Die meisten Betriebe der BOG bauen Schwarze Johannisbeeren an, da sie sich mit einem Arbeitsaufwand von 30 AKh pro Hektar (inklusive Ernte) arbeitswirtschaftlich noch einigermaßen in einen Betrieb integrieren lassen. Das Schneiden und die Ernte sind vollmechanisiert, so dass sich der Anbau ohne Fremd-AK bewältigen lässt.
Trotz des niedrigen Ertrages von mlr 40 dt/ha, bei ihren Modellrechnungen war die BOG von 80 dt/ha ausgegangen, kann sich der Deckungsbeitrag mit 2000 bis 2200 Euro/ha (siehe Übersicht) sehen lassen. Dabei wurde allerdings nur eine Verwertung von 0,75 Euro/kg Beeren zugrunde gelegt. Starke Ertragsschwankungen verursachen Spätfröste von -1 °C während der Blüte. Besonders betroffen sind die Tallagen. „Die Erträge schwanken auf 5 unseren Standorten zwischen 20 und 60 dt/ha“, erklärt Münker. „Eine Frostschutzberegnung ist jedoch zu teuer.“
Die Anlage von 1 ha Schwarze Johannisbeeren kostet rund 5 000 Euro (4 000 Pflanzen zu je 1,25 Euro/Pflanze). Die Lebensdauer einer Plantage beträgt bei maschineller Ernte 12 bis 15 Jahre.
Nur halb so teuer ist dagegen die Anlage von 1 ha Holunder. Der Arbeitsaufwand ist mit ca. 150 AKh/ha jedoch deutlich höher. Das Schneiden und Ernten von Blüten und Beeren muss per Hand erfolgen. Die Beerenobstgemeinschaft hat anfangs die Sorte „Haschberg“ gepflanzt, die in Stammkultur 80 bis 100 cm hoch wird. Um künftig die Blüten besser ernten zu können, werden nun Niedrigstammsorten angepflanzt, die bis 50 cm hoch werden. Zur Rentabilität des Holunderanbaus verrät Manfred Münker nur soviel: „Der Deckungsbeitrag ist tendenziell höher als bei Schwarzen Johannisbeeren.“
Die teuren Spezialmaschinen haben die Mitglieder der BOG gemeinsam angeschafft. Für insgesamt 110 000 Euro kauften sie zwei gezogene Erntemaschinen, einen selbstfahrenden Vollernter, ein Mulchgerät, ein Schneidegerät sowie eine Gebläse-Pflanzenschutzspritze. Die Mittel hierfür haben sie selbst aufgebracht, lediglich für die erste Erntemaschine erhielten sie 1990 einen Zuschuss von 30 %. Für Einsatz, Pflege und Wartung der Maschinen ist ein Mitgliedsbetrieb verantwortlich.

Absatz weiter steigern

„Wir könnten den Absatz noch um 30 bis 50 % steigern“, ist Manfred Münker überzeugt. „Vor allem in Nord- und Südhessen ist das Absatzpotenzial noch nicht ausgeschöpft. Dazu müssten wir noch mehr die Werbetrommel rühren. Aber schon jetzt stoßen wir arbeitswirtschaftlich an unsere Grenzen.“

Das Erfolgsrezept der Gemeinschaft fassen Münkers wie folgt zusammen:
•  Das gute Klima in der Gruppe,
der offene Umgang miteinander,
die Einsicht, dass nicht alle Ideen umgesetzt werden
können, sondern die Mehrheit entscheidet,
der aufgeschlossene, innovative und fachkundige Verarbeiter.

Und: „Jeder in unserer Gemeinschaft hat andere Fähigkeiten, Ideen und Verbindungen“, erklärt Manfred Münker. „Das ergibt in der Summe eine Riesendurchschlagskraft, die ein Einzelbetrieb nicht hätte.“

Hildegard Moritz